Neuer Aufschwung fürs E-Paper

Die Zeitung von der Titelseite über die einzelnen Bücher der Ressorts bis zur letzten Seite durchblättern, digital auf jedem mobilen Gerät – das ist die Idee des E-Papers. Es sieht aus wie die gedruckte Zeitung, erscheint jedoch digital und Abonnent:innen bekommen flexibel, ortsunabhängig und schnell verfügbar wichtige Informationen, Analysen und Hintergrundberichte. Die Verlage fangen so Print-Abo-Rückgänge auf – und verzeichnen seit Jahren sogar eine gestiegene Nachfrage.

Das belegt auch die aktuelle Studie „Zeitungsqualitäten 2023“ der ZMG: Die Auflage der E-Paper deutscher Zeitungen wuchs um nahezu zehn Prozent. Mittlerweile werden über 1,54 Millionen digitale Ausgaben der Zeitungsverlage regelmäßig bezogen.

Erfreulich ist, dass sich die Akzeptanzwerte bei der Leserschaft in Bezug auf Glaubwürdigkeit des Mediums, Attraktivität der Inhalte und Wahrnehmung von Werbung kaum von den Vergleichswerten gedruckter Ausgaben unterscheiden. Das sind auch für die Werbetreibenden gute Nachrichten – denn wie eine gemeinsame Untersuchung der ZMG und des Bundesverbandes Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) zeigt, werden die Anzeigenformate auch in den digitalen Ausgaben wahrgenommen und dienen dem Aufbau von Reichweite sowie der Ansprache von relevanten Zielgruppen.

„Extended E-Paper“ – neue Perspektiven und Möglichkeiten

Nun ist die Idee des E-Papers nicht neu. Die ersten Ausgaben eines E-Papers von Zeitungen gab es bereits vor mehr als 20 Jahren. In einer damaligen Studie (Bucher et al. 2003) mit dem Titel: „Digitale Zeitungen als E-Paper: echt Online oder echt Print“ wurden schon seinerzeit Fragen zur Nutzung und zur Akzeptanz untersucht. Dabei ist interessant, dass sich aktuelle Erkenntnisse verglichen mit den damaligen Antworten nicht sehr unterscheiden. Allerdings gab es schon früh Verbesserungsvorschläge in Bezug auf die Optimierung der Nutzerfreundlichkeit und die Nutzung von erweiterten Funktionen, die über das reine Abbild der gedruckten Ausgabe als PDF hinausgehen.

Dass diese Vorschläge von den Verlagen nicht umgesetzt wurden, lag aber weniger an der Bereitschaft der Medienhäuser: Bis Februar 2023 zählte ein E-Paper gemäß den Richtlinien der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) nur dann zur verbreiteten Auflage, wenn es eins zu eins ein Abbild der gedruckten Zeitung war. Erst mit den aktuellen Veränderungen in dem umfangreichen Regelwerk wurde eine neue Rubrik „Extended E-Paper“ eingeführt. Erstmals ist es nun möglich, IVW-konform Aktualisierungen von redaktionellen Inhalten vorzunehmen oder Bewegtbild-Sequenzen, Animationen und Audio-Dateien in die E-Paper-Ausgaben einzubinden.

Das kann ein wichtiger Schritt sein, um noch mehr Leser:innen für E-Paper-Ausgaben zu gewinnen – und es bietet dieser Produktform neue Möglichkeiten. Es bedeutet aber auch, dass der Produktionsprozess für die Verlage durch mögliche Funktionserweiterungen aufwändiger werden wird. Bislang war die Erstellung des statischen E-Papers nämlich recht einfach per Knopfdruck aus den Redaktionssystemen heraus möglich.

E-Paper erscheint vielen als Lösung für drängendste Probleme der Branche

Aufwind bekamen die E-Paper aber auch im Zuge der Corona-Pandemie. Der Print-Verkauf ging insbesondere während der Lockdowns zurück – die Online-Auftritte der Zeitungen und Medien wurden hingegen umso mehr genutzt, um sich zu informieren; zumal online stetig aktualisiert werden kann. Die Verlage vermarkteten während der Pandemie ihre E-Paper-Ausgaben entsprechend aktiver. Und sie stellten fest, dass dadurch nicht nur neue Leser:innen gewonnen werden konnten, sondern dass es überdies sinnvoll sein kann, bestehende Abonnent:innen zum Wechsel von der gedruckten Auflage zum E-Paper zu motivieren.

Diese Entwicklung von Print zu E-Paper könnte einige der drängendsten Probleme des Zeitungsmarktes lösen oder zumindest mildern. Viele Papierhersteller haben ihre Produktion während der Corona-Pandemie in Richtung Verpackungspapiere umgestellt, da deutlich mehr Menschen Waren online bestellt haben und der Versand entsprechend zunahm. Zudem sind die Auflagen der Print-Ausgaben von Zeitungen in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken. Dadurch ist mancher Papierhersteller auf andere Papiersorten umgestiegen.

Daraus ergibt sich, dass es weniger verfügbares Zeitungspapier auf den Beschaffungsmärkten gibt und die Kapazitäten auch auf absehbare Zeit voraussichtlich nicht wieder aufgebaut werden. Im Zuge dessen wird der Rohstoffeinkauf erheblich teurer. Hinzu kommt, dass die Energiekosten seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine explodieren und weitere Kostensteigerungen nach sich ziehen – immerhin ist die Papierindustrie der fünftgrößte industrielle Energieverbraucher weltweit.

Modernisierung von Druckmaschinen und Probleme bei der Zustell-Logistik

Die Verlage wird zudem eine weitere Herausforderung beschäftigen, die dem E-Paper möglicherweise weiter Auftrieb gibt: die Druckkapazitäten. Vor einigen Jahren gründeten viele Verlage gemeinsame Druckzentren, um die gedruckten Auflagen betriebswirtschaftlich sinnvoll zu produzieren und Synergien zu nutzen. Mittlerweile sind einige der Druckmaschinen in die Jahre gekommen und müssten in den kommenden Jahren mit einem hohen Investitionsaufwand ersetzt oder überholt werden.

Nicht zuletzt beschäftigt die Branche schon seit Jahren die Zustellung der Zeitungen und die Frage, wie das gedruckte Produkt zu den Leser:innen kommt. Seit der Einführung des Mindestlohns 2015 halten die Diskussionen zwischen dem Gesetzgeber und den Vertreter:innen der Zeitungsverlage an. Durch die erhöhten Zustellkosten und die erweiterten Dokumentationspflichten wird die Zustellung immer schwieriger – vor allem im ländlichen Raum. Die Zusatzkosten können von den Verlagen kaum auf die Bezugspreise umgelegt werden. Hinzu kommt, dass es immer schwieriger wird, überhaupt Personen zu finden, die als Zeitungszusteller:in arbeiten möchten.

Möglichkeiten des E-Paper zur digitalen Transformation nutzen

Aus der Sicht der Verlage scheint es also naheliegend, die Vermarktungsaktivitäten in Richtung E-Paper zu forcieren. Die ersten Verlage bieten das E-Paper-Abonnement mittlerweile zu geringeren Bezugspreisen an, um die Struktur bei der Auflage in Richtung „Digital-Abos“ zu verändern.

Außerdem taucht immer häufiger das Argument auf, dass die die E-Paper-Ausgaben aus ökologischer Sicht umweltfreundlicher als gedruckte Zeitungen wären. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesem Thema kann an dieser Stelle nicht geführt werden, aber so viel sei gesagt: Die vermeintlich gute Ökobilanz des E-Papers ist bei genauer Betrachtung und unter Einbezug der notwendigen Endgeräte zwar nicht ganz so blütenrein, aber vor allem für bestimmte Zielgruppen ein gutes Argument, sich für eine digitale Ausgabe der Zeitung entscheiden zu können.

Insbesondere in Zeiten von Social Media und Fake News muss allen klar sein: Die Arbeit des Qualitätsjournalismus – ob lokal, regional oder national – ist von enormer Bedeutung. Auf welchem Wege Information, Analyse, Hintergrundbericht und Einordnung die Menschen erreichen, steht dabei weniger im Vordergrund. Die derzeitige Entwicklung der E-Paper ist ein wichtiger Schritt bei der digitalen Transformation der Presseverlage. Die nächste Frage wird nun sein, wie die Zeitungsverlage die neuen Möglichkeiten des „Extended E-Paper“ umsetzen, um noch attraktivere Produkte und Angebote zu machen. So viel steht fest: Das „Prinzip Zeitung“ lebt!