Programmatic Advertising

Die Revolution des digitalen Marketings?

Programmatic Advertising oder auch Realtime-Advertising (RTA) zählt zum wachsenden Bereich der Marketing Automation. Aber was genau steckt hinter all diesen Begriffen? Bedeuten sie das Ende der klassischen Display-Werbung? Und worin liegen dabei Chancen für das Verlagswesen?

Programmatic Advertising versus Insertion Order

Zunächst ist es sinnvoll, Programmatic Advertising und Insertion Order (IO) voneinander abzugrenzen. Bei der Insertion Order handelt es sich um einen klassischen, wenn auch digitalen Anzeigenauftrag zwischen einem Werbetreibenden und dem Verlag. Der Kanal, die Preise und KPIs für die Messung stehen fest und sind bekannt. Sämtliche Konditionen findet man üblicherweise in den Mediadaten für digitale Angebote der Verlage. Beispielsweise kann ein Kunde direkt 50.000 Ausspielungen eines „Superbanners“ auf der Startseite des Webangebotes eines Zeitungshauses buchen.

Beim Programmatic Advertising – zu Deutsch: dem programmatischen Werben – verhält sich die Situation anders. Hier steht nicht mehr die publizistische Leistung oder die Gesamtreichweite des Verlages im Vordergrund, sondern der Fokus liegt auf der Erreichbarkeit von definierten Zielgruppen – auch über mehrere Medienkanäle hinweg. Die Grundlage für diese veränderte Perspektive ist die Analyse vorhandener Nutzerdaten von Rezipienten. Diese sogenannte Predictive Analysis erlaubt es, Verhaltensweisen von Menschen in der digitalen Mediennutzung zu strukturieren und teilweise vorherzusagen. Mithilfe dieses Wissens können digitale Werbeflächen nicht nur trennschärfer ausgespielt werden, sondern es verändert sich auch deren Vermarktungsgeschäft.

Zielgruppenansprache mit relevanten Botschaften

Das Ziel ist es, möglichst relevante Werbeinhalte auszuspielen, die auf die jeweiligen Interessen der Zielgruppen abgestimmt sind. Damit sollen Streuverluste minimiert werden und höhere Engagement- oder Conversion-Raten erzielt werden. Dazu muss man einiges über den Nutzer wissen: Welcher Inhalt wurde angeschaut? Von wo wurden die Seiten abgerufen? Welche soziodemografischen Daten sind bekannt? Wie ist das generelle Surfverhalten des Nutzers?

Die Analyse des Nutzerverhaltens erfolgt derzeit immer noch überwiegend mithilfe von Cookies, obwohl viele Anbieter aufgrund von strengeren Datenschutzbestimmungen nach Alternativen suchen – allen voran Google. Jede Anfrage eines Browsers auf einer Webseite tauscht nämlich relevante Identifizierungsinformationen mit einem Webserver aus. Wenn also eine Anzeige auf der Seite erscheint, wird die Anfrage für diese Anzeige, ein Bild oder eine Mediendatei an einen Anzeigenserver weitergeleitet. Jede Seite, die über den Tag hinweg besucht wird, sammelt so Informationen über das jeweilige Nutzerverhalten.

First-Party und Third-Party-Cookies

Es gibt verschiedene Arten, Nutzerdaten zu sammeln. Als Daten von Erstanbietern (first party) werden die Daten bezeichnet, die ein Unternehmen direkt von den Besuchern seiner Website sammelt. Daten von Drittanbietern (third party) hingegen sind Daten, die indirekt von Datenerfassungsnetzwerken oder Werbeplattformen zusammengetragen werden. Im Programmatic Marketing werden solche Datenbanken generell als Data Management Platform (DMP) bezeichnet. Beispielanwendungen wären hier: Salesforce Audience Studio, The Adex, Turn, Lotame uvm. Aufgrund verschärfter Datenschutzbestimmungen wird die Bedeutung von First-Party-Cookies zunehmen. Außerdem unterbinden Werbeblocker und Browser das Tracking durch Drittanbieter. Letztendlich werden Daten von Drittanbietern deutlich schwieriger zu beschaffen, weniger zuverlässig und stärker eingeschränkt sein.

Notwendige Schritte für eine programmatische Werbung

Wie lässt unter diesen Vorzeichen also Werbung zielgruppenaffin buchen, gestalten und ausspielen?

1. Definition der Zielgruppe

Dies geschieht über Targeting-Kriterien, wie demografische Daten, Keywords, besuchte Webseiten und Aufenthaltsorte.

2. Visualisierung der Werbung

Hier stellt sich immer erst die Frage, auf welchem Medienkanal die Werbebotschaft ausgespielt werden soll. Die einfachste Möglichkeit ist der Eintrag in eine Suchmaschine, da es sich dabei überwiegend um die Darstellung innerhalb von standardisierten Vorlagen handelt. Komplizierter wird das bei Display-Werbeformaten, Video-Ads oder Rich-Media-Anzeigen.

3. Bieten oder bezahlen?

Anders als bei der Insertion Order, wo der Preis im Vorfeld kalkulierbar ist, haben wir es mit einem dynamischen System zu tun. Bei der Entwicklung einer automatisierten Kampagne legt der Werbetreibende die Preise fest, die er zu zahlen bereit ist, um die gewünschte Zielgruppe mit seiner Botschaft zu erreichen. In der Regel handelt es sich dabei um CPM-(„Cost per Mille“-)Preise, also den Preis für 1.000 Werbeeinblendungen. Diese wiederum können je nach Attraktivität der Suchbegriffe und des Werbeumfeldes sehr stark variieren. Je attraktiver das Umfeld oder das Suchwort, desto höher wird der Preis für 1.000 Einblendungen.

Nicht immer wird dabei auf ein Auktionsverfahren zurückgegriffen. In sogenannten Private Deals gibt es eine direkte Vereinbarung zwischen dem Publisher und dem Werbetreibenden. Eine Werbung wird garantiert dann ausgespielt, wenn Nutzer mit bestimmten Zielgruppeneigenschaften eine Webseite aufrufen.

4. Umsetzung und Ausspielung

Auf so genannten Supply-Side-Platforms (SSP) – manchmal auch Sell-Side-Platforms genannt, wie etwa Google Ad Manager (AdX), Xandr, Yieldlab, Criteo,  AppNexus oder AdScale – werden die angebotenen Werbeflächen der Digital Publisher zur Verfügung gestellt. Anschließend werden diese Werbeflächen mit den Anforderungen des Kunden an die definierten Kampagnenziele abgeglichen. Dieser inhaltliche Abgleich erfolgt selbstverständlich voll automatisiert und zwar über sogenannte Demand-Side-Platforms (DSP). Innerhalb von Sekundenbruchteilen werden die Inhalte abgeglichen und es wird das Werbemittel mit dem höchsten Gebot ausgespielt.

Das Aus von Drittanbieter-Cookies und die Chance für Zeitungsverlage

Mit der Ankündigung, die Unterstützung von Drittanbieter-Cookies für seinen Browser Chrome – das mit Abstand beliebteste Tor zum Internet weltweit – ab 2022 einzustellen, erschütterte Google 2020 die Programmatic-Advertising-Branche. Bereits zuvor hatten Apple und Firefox ähnliche Maßnahmen umgesetzt. Die Werbeindustrie ist also gefordert, schleunigst nach alternativen Lösungen zu suchen. Denn sobald Cookies von Drittanbietern von den Browsern blockiert werden, werden die Datenverwaltungsplattformen den Großteil ihrer Daten nicht mehr über Ad-Tracker erhalten können. Mittlerweile hat Google allerdings das Aus für die Cookies bereits in die zweite Jahreshälfte 2024 verschoben. Man darf gespannt sein, was Google sich einfallen lassen wird, da die Datengenerierung eines der Kerngeschäfte des Internetriesen ist.

Das Targeting wird sich voraussichtlich zunehmend auf die Kundendaten der Werbetreibenden verlagern. Aber auch weniger datenintensive Targeting-Alternativen wie das kontextbezogene und standortbasierte Zuschneiden von Werbeinhalten werden an Bedeutung gewinnen. Die Entwicklung spielt auch in die Karten von Website-Betreibern: Insbesondere Seiten mit einer größeren Reichweite können zwangsläufig auch mehr Daten über ihre Nutzer sammeln – eine Chance für reichweitenstarke Online-Portale von Zeitungsverlagen. Kleinere Websites werden für Programmatic Advertising hingegen zunehmend uninteressant.

Vor diesem Hintergrund ergibt sich eine spannende Erkenntnis: Auch wenn das „klassische“ Werbemodell der Insertion Order an Bedeutung verliert, bleiben Qualitätskriterien wie die Reichweite oder publizistische Leistung eines Onlinemediums ausschlaggebend. Der Erfolg wird also auch weiterhin davon abhängen, ob es einem Medium gelingt, verlässlich ein möglichst großes Publikum mit relevanten Inhalten zu erreichen.  Umgekehrt lautet ansonsten die Rechnung: ohne Nutzer keine Daten und somit auch kein Programmatic Advertising.

März 2023

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