Ein Jahr ChatGPT – (k)ein Grund zu feiern?!?

Es ist nun rund ein Jahr her, dass künstliche Intelligenz eine ganz neue Bedeutung bekommen hat: Der Chatbot ChatGPT 3.5 wurde der Öffentlichkeit vorgestellt. Viele Expertinnen und Experten ordnen den Hype um generative KI in einen historischen Kontext ein und verweisen darauf, dass Large-Language-Modelle (LLMs), auf denen z.B. ChatGPT trainiert wurde, schon viele Jahre existieren und im Grunde nichts Neues sind. Und doch wird seither über die Möglichkeiten und Auswirkungen von KI diskutiert und von nichts weniger als der vierten industriellen Revolution gesprochen. Künstliche Intelligenz hält in jeden Wirtschaftszweig Einzug – und in einem besonderen Maße in die Medien.

Dabei sind die Positionen ambivalent zwischen denjenigen, die ChatGPT mit neuen Chancen und Möglichkeiten verbinden und denen, die darin eine existenzielle Bedrohung sehen. Über einen Punkt sind sich freilich alle einig: Verschwinden wird die KI nicht. Es lohnt sich also, die Möglichkeiten auszuloten, wo der Journalismus und damit verbunden das Lesermarketing durch den Einsatz der Algorithmen gestärkt werden können.

Entwicklung seit der Veröffentlichung von ChatGPT

In dem einen Jahr seit der Veröffentlichung von ChatGPT ist viel passiert. Es gibt mittlerweile Updates im Algorithmus, außerdem haben sich bemerkenswerte Personalien in den Tech-Unternehmen ergeben. Überdies wurde zumindest in Europa mit dem AI-Act eine gewisse Rechtsgrundlage geschaffen, wie und unter welchen Bedingungen KI eingesetzt werden darf und kann. Es geht somit nicht nur um die technischen Möglichkeiten, sondern es werden regulatorische Maßnahmen diskutiert.

Schon vor dem Start von ChatGPT haben viele Medienunternehmen experimentiert, um beispielsweise im Bereich der Finanz- oder Sportnachrichten automatisierte Texte erstellen zu lassen. Durch ChatGPT ist es nun für jede und jeden möglich, auf einfache Art Texte und Bilder anzufertigen. Ein vergleichbarer Quantensprung war seinerzeit vielleicht das Web 2.0 im Internet. Bestimmte Fähigkeiten bei der HTML-Programmierung, um Inhalte im World Wide Web zu publizieren, waren mit der Entwicklung des Web 2.0 nicht mehr notwendig. Wenn man eine Parallele zu diesem Fortschritt ziehen möchte, müsste man also eine Welle von Content-Start-ups erwarten, die es den Inhalten von traditionellen Medien erschweren, von Rezipienten wahrgenommen zu werden. Wird es also eine Content-Explosion geben?

Ein weiterer Aspekt ist die zukünftige Auswirkung der „Zero-Click-Suche“. Durch die Implementierung von Algorithmen in Suchmaschinen werden den Rezipienten immer häufiger paraphrasierte Inhalte ohne eine Verlinkung zur Originalquelle angezeigt. Das kann einen Rückgang der Zugriffszahlen auf die eigene Webseite bedeuten und ist aus Qualitätsgesichtspunkten ebenfalls nicht ohne Auswirkung, wenn die Zuordnung zu einer Quelle nicht mehr möglich ist.

Unterstützen statt ersetzen

Bei den Verlagen ist die Haltung zur KI ziemlich eindeutig: KI soll unterstützen und die Journalisten von Routineaufgaben entlasten, um bessere Texte zu schreiben und sich vermehrt auf die Kernaufgabe zu konzentrieren. Von Ersetzung ist zumindest in großem Maße noch nichts zu hören – zu wichtig ist dabei der Qualitätsjournalismus.

Mittlerweile haben sich Tools wie ChatGPT in bestimmten Bereichen als vielseitig erwiesen. So werden sie bei vielen unterstützenden Prozessen eingesetzt, wie beispielsweise, um eine Überschrift für einen Text zu generieren, um Zusammenfassungen zu erstellen oder Versionen von Texten zu kreieren, die unterschiedliche Zielgruppen ansprechen sollen. Damit können Inhalte lese- und leserfreundlicher werden, wo bislang eine Versionierung von Texten aufgrund von eingeschränkten Ressourcen nicht möglich war.

Der Journalist und Moderator Richard Gutjahr erklärte auf dem Medienpolitischen Austausch 2023 der Landesanstalt für Kommunikation in Baden-Württemberg (LFK), dass er ChatGPT auch dafür einsetze, Fragen an seinen eigenen Text zu stellen, um andere Perspektiven zu erhalten und dadurch seine Beiträge nachhaltig besser zu machen. Damit können Algorithmen also auch als eine Art digitale Sparringspartner eingesetzt werden, um bereits verfasste Texte weiter zu optimieren.

Relevanz, Relevanz, Relevanz!

Wenn Journalisten Informationen filtern und bewerten, wann eine Nachricht für ihre Zielgruppe wichtig ist, geht es vor allem um die Bedeutung des Textes und ob er Informationen für die Leserschaft enthält. Dabei geht es zum Beispiel um die Nähe zur individuellen Lebenswelt oder den Einfluss von öffentlichen Personen. Unter dem Strich zählt die individuell wahrgenommene Relevanz.

ChatGPT und nachfolgende Algorithmen können zukünftig noch besser in der Lage sein, Themen für die Lesermärkte zu ermitteln und sie noch weiter zu segmentieren. Damit kann eine höhere Relevanz erzielt und eine langfristige Kundenbeziehung aufgebaut werden. Nicht nur, dass KI früher Trends erkennen kann, sie kann auch zur Vielfalt beitragen, da verschiedene Perspektiven eingenommen werden können. Allerdings: Über die Qualität muss ein Mensch entscheiden!

Chancen für neue Berufsbilder

Eigentlich kommt der Hype um generative KI zu einem günstigen Zeitpunkt. Auch ohne ChatGPT stehen den Verlagen Veränderungen in der Ablauf- und Aufbauorganisation ins Haus, vor allem Umstrukturierungsmaßnahmen aufgrund von wirtschaftlichen Entwicklungen, Zusammenlegungen von Redaktionen und dem damit verbundenen Stellenabbau. Die Branche hat das schon mehrfach erlebt. Denken wir nur an die Umstellung von Bleisatz auf Fotosatz oder später auf Desktop-Publishing (DTP) und den digitalen Umbruch.

Berufsbilder wie Setzer fielen weg – sie wurden überflüssig. Matthias Döpfner, CEO von Axel Springer SE wird in einem Onlineartikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 19. Juni 2023 wie folgt zitiert: „Die Funktionen der Redaktionsleiter, Blattmacher, Korrektoren, Sekretariate und Foto-Redakteure wird es so wie heute nicht mehr geben.“ Das sei aber nicht nur auf die KI zurückzuführen, sondern generell den veränderten Arbeitsabläufen geschuldet.

Welche Kompetenzen und Fähigkeiten werden also in der Redaktion der Zukunft gebraucht, um relevante mediale Inhalte für eine Leserschaft zu produzieren? Welche Fähigkeiten brauchen Journalisten, um effektiv mit KI-Technologien arbeiten zu können – was auch bedeutet, die Medienausbildung an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen? Diese Frage zu beantworten, ist nicht einfach, aber wichtig, um für die Zukunft gut gerüstet zu sein.

ChatGPT hat Geburtstag – feiern oder trauern?

Eine andere Frage, die beantwortet werden muss, ist diese: Ist der erste Geburtstag von ChatGPT ein Grund zu feiern oder sich zu grausen? KI bringt auch weiterhin einschneidende Veränderungen, von denen auch die Medienbranche nachhaltig beeinflusst werden wird. In den vergangenen 12 Monaten hat sich viel getan hat, doch der Zeitraum ist zu kurz, um ein klares Bild zu haben und ChatGPT und die von ihm angestoßenen Entwicklungen bewerten zu können.

Es sind viele Experimente zu erkennen, aber zum Teil auch eine abwartende Haltung – die großen Suchmaschinen-Anbieter haben sich noch nicht abschließend positioniert, viele Entwicklungen stehen erst am Anfang. Die Diskussion wird sich im Jahr 2024 auf zwei Ebenen konzentrieren. Es wird einerseits um Regulation gehen, also um das Ringen um rechtsverbindliche Rahmenbedingungen und Vorschriften. Dabei nehmen die rechtlichen Aspekte einen großen Raum ein. Andererseits werden eine Art Kodex und ein Umgang mit KI aus einer ethischen Verantwortung heraus wichtig. Konkret: Verzerrungen oder nicht erwünschte Einflüsse der KI auf den Journalismus sollen vermieden werden. Das Experimentieren mit KI in Medienunternehmen wird jedoch sehr wahrscheinlich auch zu neuen Lösungen führen. Für Trauer ist nach einem Jahr kein Anlass – die weiteren Geburtstage werden zeigen, ob es Grund zu feiern geben wird.